Gregor Schöllgen – Historiker

​Ein altes Lied

18.02.2025 
Jetzt klagen sie wieder. Folgt man den Ausführungen europäischer Politiker quer durch alle Parteien, Länder und Nationen auf der Münchener Sicherheitskonferenz, könnte man meinen, die Welt sei untergegangen. Anlass für die Klage war ein in dieser Form unerhörter Auftritt des amerikanischen Vizepräsidenten, der ganz im Sinne seines Präsidenten meinte, sich über die innenpolitische Situation vieler europäischer Partnerländer auslassen zu müssen.
 
Dabei ist die hinter dieser merkwürdigen Ansage steckende Aussage nicht neu. Denn es geht um die Frage, wer im transatlantischen Verhältnis das Sagen hat. Seit dem Frühjahr 1949, also seit Gründung der NATO, hat kein amerikanischer Präsident je einen Zweifel daran gelassen, wer hier den Ton setzt und die Marschrichtung vorgibt. Das war schon deshalb nicht überraschend, weil das westliche Europa, allen voran die außenpolitisch nicht einmal vollständig souveräne Bundesrepublik, von den Sicherheitsgarantien der Vereinigten Staaten abhängig war. Jedenfalls bis zum Ende der Sowjetunion, also bis 1991.
 
Eigentlich wäre der Fall damit erledigt gewesen, denn die NATO wurde erklärtermaßen in der Absicht gegründet, sich gegen eine erwartete militärische Bedrohung durch die Sowjets und ihren Militärpakt verteidigen zu können. Da die NATO aber auch nach dem Untergang der Sowjetunion und des Warschauer Paktes nicht nur bestehen blieb, sondern erheblich erweitert wurde, Überlebte auch die Abhängigkeit von Amerika.
 
Dass damit auch die amerikanischen Präsidenten weiterhin den Ton und die Marschrichtung vorgaben, fand ich nie überraschend, sondern naheliegend. Das galt für alle Präsidenten seit 1991 - von George Bush über Bill Clinton, George W. Bush, Barack Obama und Donald Trump bis hin zu Joe Biden, und es gilt nun noch einmal für Trump.
 
Was alleine Barack Obama politisch Angela Merkel zugemutet hat, reicht für ein eigenes Buch. Wer weiß denn noch, dass die amerikanische National Security Agency (NSA) - sicher nicht ohne Wissen des Präsidenten - das Handy der Bundeskanzlerin abhörte? Damals habe ich die Geschichte dieser einseitigen Abhängigkeit von Adenauer bis Merkel unter anderem für die Süddeutsche Zeitung aufgeschrieben.
 
So gesehen wird jetzt ein altes Lied neu intoniert. Und es wird solange gesungen, wie es die NATO gibt. Allerdings stand das Bündnis nie so nah an seiner endgültigen Auflösung wie jetzt. Die Amerikaner arbeiten darauf hin. Dass die Europäer Ein Ende der NATO unter allen Umständen verhindern wollen, hat vor allem einen Grund: Die Europaarmee, über die seit 1950 mal gesprochen, mal verhandelt wird, existiert bis heute nicht einmal auf dem Papier.