Wer hätte das gedacht? Diehl Defence, die Rüstungssparte des gleichnamigen, in Nürnberg ansässigen Familienunternehmens, kann sich vor Anfragen, Aufträgen und Auszeichnungen kaum retten. Das war nicht immer so. Noch um die Jahrtausendwende sahen sich die 1902 gegründete Firma und namentlich ihr Patriarch, der 1907 geborene Karl Diehl, heftigen Angriffen ausgesetzt – weil sie unter anderem Rüstungsgüter für die Bundeswehr produzierten.
Man kann das in meiner 2002 erschienenden Biographie der Familie Diehl und ihres Unternehmens nachlesen. Dort findet sich auch die Geschichte des Infra Red Imaging System „Iris“, also jenes Flugabwehrsystems, das heute als das modernste und effektivste der Welt gilt. Man weiß das so genau, weil inzwischen vier Iris-T SLM und drei Iris-T SLS bei den ukrainischen Streitkräften im Einsatz sind.
Die Karriere von Iris begann Ende September 1989, als die Familie Diehl die auf militärische Lenkflugkörper spezialisierte Bodenseewerk Gerätetechnik GmbH (BGT) erwarb. Die Firma war in der Endphase des Zweiten Weltkrieges aus der nach Überlingen ausgelagerten Entwicklungsgruppe der Berliner Askania Werke AG entstanden und seit 1954 mehrheitlich in amerikanischem Besitz.
Dass die BGT 1960 den Zuschlag als Generalunternehmer für das europäische Produktionsprogramm des amerikanischen Luft-Luft Flugkörpers „Sidewinder“ erhielt, lässt sich schwerlich überschätzen. Denn nicht nur produzierte BGT schließlich mehr als 30.000 Exemplare dieses Typs, sondern das Unternehmen verfügte seither auch über das Know-how für Luft-Luft- sowie Boden-Luft-Abwehrraketen und damit auch über Möglichkeiten einer zeitgemäßen Weiterentwicklung. Und die kaufte Diehl 1989 mit ein.
Was heute wie ein gutes Geschäft unter anderen aussieht, war in jener Zeit tatsächlich eine unternehmensstrategische Meisterleitung Karl Diehls und seiner drei Söhne Peter, Thomas und Werner. Denn die Übernahme der BGT spielte sich im Zusammenhang einer weit größeren Übernahmeschlacht ab, die Daimler-Benz in der Ära des Vorstandsvorsitzenden Edzard Reuter vom Autoproduzenten zum Hochtechnologiekonzern transformieren sollte. Die Einzelheiten finden sich in meinem Buch.
Damit nicht genug, zeigte auch das französische Industrieunternehmen Matra großes Interesse an der BGT und bot einen nennenswert höheren Kaufpreis als Diehl. Dass sich die Franzosen am Ende mit einer zwanzigprozentigen Beteiligung an dem Unternehmen zufriedengaben, hatte nicht zuletzt auch mit den exzellenten politischen Kontakten Karl Diehls zu tun. Seit der Fusion der BGT mit der Diehl Munitionssysteme GmbH & Co. KG zur Diehl Defence GmbH & Co. KG im September 2004 sind die Entwicklung und Fertigung der Flugkörpersysteme unter diesem Dach angesiedelt.
Wenn man so will, ist Iris-T eine konsequente Weiterentwicklung des Sidewinder, dessen Fertigung Diehl 1989 mit BGT übernahm. Mit seiner enormen Feuerkraft kann Iris-T mehrere Ziele bis zu einer Entfernung von 45 und einer Höhe von 20 Kilometern gleichzeitig bekämpfen. Aus diesem Grund sowie wegen seiner hohen Mobilität und seiner schnellen Einsatzbereitschaft ist Iris-T aus dem Hause Diehl ein Vorzeigeprodukt deutscher Rüstungsindustrie in einer Zeit, in der Kriege auch in Europa wieder auf der Tagesordnung stehen.
Dass die Bundeswehr bislang gerade einmal über ein Exemplar dieses Hightech-Systems aus deutscher Fertigung verfügt, gehört zu den Begleiterscheinungen einer Geschichte, die begann, als sich die Sowjetunion 1991 aus dem Weltgeschehen verabschiedete.