Am Ende hatten sie keine Chance. Der Versuch einer Gruppe von Militärs, Politikern und Diplomaten, Adolf Hitler zu beseitigen, damit ein Ende der nationalsozialistischen Herrschaft in Deutschland zu erzwingen und vielleicht sogar den Krieg zu beenden, scheiterte am 20. Juli 1944 schon im Ansatz. 80 Jahre ist das jetzt her.
Die Vorgeschichte und der Verlauf, das Scheitern und die Folgen des Staatsstreichs sind längst gut und zuverlässig erforscht. Vor allem durch den in Dresden geborenen, zuletzt in Kanada lehrenden Historiker Peter Hoffmann, dessen erstmals 1969 erschienene, danach wiederholt überarbeitete und ergänzte Untersuchung
Widerstand, Staatsstreich, Attentat. Der Kampf der Opposition gegen Hitler bis heute lesenswert ist.
Der wohl ausschlaggebende Grund für das Scheitern war der mangelnde Rückhalt der Oppositionellen nicht nur in den eigenen Reihen, also bei den Militärs, in der Verwaltung oder auch im diplomatischen Dienst, sondern auch und vor allem in der Bevölkerung. Ob sich im Falle des Erfolges eine Mehrheit der Deutschen hinter die Attentäter gestellt hätte, wissen wir nicht. Schon die Frondeure hatten begründete Zweifel.
Denn als sie das Attentat auf Hitler wagten, stand in Weißrussland die Heeresgruppe Mitte vor dem Zusammenbruch und im Westen waren soeben die Alliierten gelandet. Wer in einer solchen Situation den Oberbefehlshaber der Wehrmacht und des Heeres, der Hitler ja auch war, beseitigt, läuft Gefahr, als Verräter dazustehen. Nicht zufällig deutete die nationalsozialistische Propaganda den gescheiterten Staatseich als Dolchstoß in den Rücken der eigenen Truppe.
Offenbar fiel diese Propaganda auf fruchtbaren Boden. Selbst nach der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht und der Übernahme der obersten Regierungsgewalt in Deutschland durch die alliierten Sieger und Befreier im Frühjahr 1945 waren die Oppositionellen für viele, wenn nicht die meisten Deutsche keine Patrioten, sonder Verräter.
Es dauerte zehn Jahre, bis bundesdeutsche Politiker öffentlich und offiziell die deutsche Opposition gegen Hitler würdigten und deren eigentliches Motiv in Erinnerung riefen: Wissend oder doch ahnend, dass ihr Versuch, Hitler und sein Regime zu beseitigen, chancenlos sein würde, wollten sie dokumentieren, dass es auch jetzt noch ein „anderes Deutschland“ gab.
Aber das hielt den einen oder anderen bis Ende der Sechzigerjahre nicht davon ab, ehemalige Gegner des Regimes wie den Sozialdemokraten Willy Brandt wegen seiner Haltung in der Zeit des „Dritten Reiches“ zu diffamieren. Man darf davon ausgehen, dass sich diese Leute mit ihren Anspielungen und Verunglimpfungen eine nennenswerte Resonanz bei ihren potentiellen Wählern versprachen.
Für mich war diese Beobachtung ein Grund, mich seit Mitte der Achtzigerjahre intensiver mit der deutschen Opposition gegen Hitler zu beschäftigen. Dass ich mich auf Ulrich von Hassell konzentrierte, war naheliegend, weil der Mann von 1909 bis zu seiner Versetzung in den Wartestand im Februar 1938 fast durchgängig im Auswärtigen Dienst des Deutschen Reiches tätig war, zuletzt als deutscher Botschafter in Rom.
Da ich über viele Jahre immer wieder einmal für längere Zeit im Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes geforscht hatte und inzwischen auch für die historische Ausbildung der Attachés verantwortlich war, gab es eine naheliegende Verbindung zu diesem Ministerium und seiner Geschichte.
Außerdem verbrachte ich Ende der Achtzigerjahre einen guten Teil meine Zeit in den USA und in Großbritannien und konnte in den dortigen Archiven nicht nur aufschlussreichen Spuren Ulrich von Hassells folgen, sondern in New York auch eine Reihe von Gesprächen mit dessen ältestem Sohn führen: Wolf Ulrich von Hassell hatte nach der Hinrichtung seines Vaters am 8. September 1944 dessen Papiere in Sicherheit bringen können und war später seinerseits in den Auswärtigen Dienst eingetreten.
Meine Biographie
Ulrich von Hassell 1881-1944. Ein Konservativer in der Opposition erschien 1990 in erster Auflage. Geschrieben habe ich das Buch während eines Gastjahres, das ich 1988/89 am St. Antony’s College in Oxford verbringen durfte. Das war insofern von einiger Bedeutung, als zwei der in Oxford tätigen Gelehrten meine Erstleser waren.
Beide waren nicht nur mit der deutschen Geschichte der Dreißiger- und Vierzigerjahre intim vertraut, sondern sie waren auch direkt mit der deutschen Politik in Berührung gekommen. Michael Balfour, einer der besten britischen Kenner des deutschen Widerstandes, war während des Zweiten Weltkrieges und in den Jahren danach auf die eine oder andere Weise mit der Deutschen Frage befasst.
Ralf Dahrendorf, Sohn von Gustav Dahrendorf, einem Angehörigen der Widerstandsbewegung, hatte neben einer steilen nationalen und internationalen Karriere als Sozialwissenschaftler eine zweite in der FDP hingelegt und war kurzzeitig auch als Parlamentarischer Staatssekretär im Auswärtigen Amt tätig gewesen. Seit 1987 amtierte er als Warden des St. Antony’s College.
Michael Balfour und Ralf Dahrendorf waren nicht nur die Erstleser meines Manuskripts, sondern sie halfen auch dabei, dass mein Buch zeitgleich in einem englischen und einem amerikanischen Verlag erscheinen konnte. Dass Michael Balfour dafür ein Vorwort schrieb, hat mich gefreut und geehrt. Das gilt auch für die Einladung des Auswärtigen Amtes, 1994 anlässlich des 50. Jahrestages des gescheiterten Staatstreichs den Vortrag auf der Gedenkfeier für die Opfer des Widerstandes im Auswärtigen Dienst zu halten.