Zehn Monate ist es her, dass Russland die Ukraine überfiel. Anders als von vielen, allen voran vom russischen Präsidenten, erwartet, führte der Angriff nicht zu einem schnellen und durchschlagenden Erfolg. Das lag und liegt zum einen am beeindruckenden Selbstbehauptungswillen der Ukrainer und zum anderen an der umfassenden, wenn auch indirekten militärischen Unterstützung des Landes durch den Westen.
Der wiederum erlebte unter dem Eindruck des Krieges eine so nicht erwartete Wiederbelebung. Die NATO zerbröselte nicht im Streit über das Ob und Wie der Militärhilfe, wie von Putin angenommen, sondern erfuhr mit den Beitritten Schwedens und Finnlands oder auch mit hastig aufgelegten Rüstungsprogrammen vieler Mitgliedstaaten einen ungeahnten Schulterschluss.
Dass er von Dauer sein wird, darf man bezweifeln. Denn der russische Überfall hat die beträchtlichen inneren Probleme des Bündnisses ja nicht aus der Welt geschafft, sondern flüchtig überlagert. Damit wurde auch die seit Ende des Kalten Krieges, also seit 1991, überfällige innere Reform erneut vertagt, die überlebten Abhängigkeiten revitalisiert und die dominante Rolle der Vereinigten Staaten zementiert.
Dass die Amerikaner diese Situation nutzen, liegt nahe und ist legitim. Den Preis zahlen im Zweifelsfall die Verbündeten. Das gilt für die Wirtschaftspolitik, wie das sogenannte Inflationsbekämpfungsgesetz zeigt. Und es gilt natürlich auch für den militärisch-industriellen Komplex. Der stärkste Akteur auf dem Feld gibt nun einmal die Regeln vor.
Wie die deutsche Order von 35 amerikanischen Jagdbombern des Typs F-35 dokumentiert. Eine plausible Erklärung warum es ausgerechnet 35 x 35 sein sollen, ist mir bislang nicht untergekommen. Jedenfalls sollen die Flugzeuge nicht zuletzt die sogenannte nukleare Teilhabe Deutschlands sicherstellen, also im Falle eines Falles die in Rheinland-Pfalz gelagerten amerikanischen Atombomben in ihre Ziele bringen.
Diese nukleare Teilhabe der NATO wurde schon in der Zeit, als sie Mitte der sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts erfunden wurde, als Strategie der Amerikaner interpretiert, ihre nukleare Vorherrschaft im Atlantischen Bündnis festzuschreiben und zugleich ihr "militärisches Protektorat über Europa" beziehungsweise ihre "Atomhegemonie akzeptabel zu machen". Dass diese Einschätzung von Franz Josef Strauss beziehungsweise Henry Kissinger, also zwei in der Wolle gefärbten Transatlantikern stammte, spricht für sich. Was dahinter steckte, kann man in meinem Buch
Deutsche Außenpolitik. Von 1945 bis zur Gegenwart nachlesen.
Dass die Bundesrepublik, wenn es darauf ankommt, in dieser vitalen Frage souverän entscheiden kann, ist unwahrscheinlich. Zum einen wissen die verantwortlichen deutschen Politiker und Militärs nicht einmal, jedenfalls nicht offiziell, ob die USA überhaupt Atombomben in Deutschland gelagert haben, und wenn ja: wo und wie viele. Bis heute ist es keiner Bundesregierung gelungen, eine Antwort auf diese Frage zu bekommen. Das war und das ist ein unhaltbarer Zustand.
Zum anderen liegt die Entscheidung über den Einsatz besagter Atomwaffen mithilfe deutscher Jagdbomber nicht in deutschen, sondern alleine in amerikanischen Händen. Dafür sorgt schon die Technik, denn „ein beträchtlicher Teil der F-35-Systeme“ bleibt unter der „exklusiven Kontrolle“, der Amerikaner, wie Peter Carstens in einem
lesenswerten Bericht für die FAZ dokumentiert hat.
Und das ist nur die Spitze eines Eisbergs. Nach heutigem Stand liegt der Systempreis der Flugzeuge bei 265 Millionen Euro. Pro Stück. Die Kosten für den Ausbau des Flughafens Büchel, wo sie stationiert werden sollen, belaufen sich auf mindestens 550 Millionen Euro. Alle Zahlen Stand heute. Dass es dabei bleiben wird, kann man ausschließen. Als die Luftwaffe 2017 erstmals über eine Anschaffung der F-35 nachdachte, lag der Preis pro Exemplar bei 80 Millionen Euro.
Sind derart horrende Kosten für ein Flugzeug, das in seiner bestehenden Konfiguration nicht einmal den deutschen Anforderungen genügt, zu verantworten? Und das in einer Zeit, in der viele, wenn nicht die meisten Waffensysteme der Bundeswehr, auf die es im Verteidigungsfall ankäme, nicht umfassend einsatztauglich sind?
Die schwerwiegendste Folge dieses Geschäfts aber ist der Rückschlag für die europäischen Rüstungsprojekte, in diesem Falle vor allem für das Future Combat Air System (FCAS), und damit für ein wichtiges Thema der militärischen Integration Europas. Alles zusammengenommen muss man keine prophetischen Gaben besitzen, um die Prognose zu wagen, dass die seit 70 Jahren immer wieder unternommenen Versuche, eine einsatzfähige europäische Armee auf die Beine zu stellen, infolge des Ukrainekrieges einen weiteren schweren, wenn nicht den finalen Rückschlag erleben.
Damit schwindet auch die Chance der Europäer, den USA die immer wieder geforderte überzeugende Partnerschaft auf Augenhöhe anbieten zu können und damit in Zukunft bizarre Geschäfte wie den Kauf von 35 F-35 überflüssig zu machen. Dass Putins Kalkül, so gesehen, doch aufgehen könnte, ist womöglich eine der wirkungsmächtigsten Folgen dieses verheerenden Krieges.