Gregor Schöllgen – Historiker

Kampf ums Wasser

11.08.2022 
Nicht erst seit diesem Jahr wissen auch wir Mitteleuropäer aus eigenem Erleben, dass Wasser zu einem sehr knappen Gut geworden ist. Und weil es für uns einstweilen noch um die Dauer und die Taktung der morgendlichen Dusche oder der wöchentlichen Autowäsche, also um ein Luxusproblem geht, übersehen wir, dass insbesondere in Asien und Afrika schon seit Jahrzehnten Kriege um Wasser geführt werden. Überraschen kann das nicht. Denn ohne Wasser ist kein Leben möglich.

Das zeigt der Kampf um das Wasser des Nil, der mit seinen 6.695 Kilometern einer der längsten Flüsse der Welt ist. Er hat zwei Hauptquellen, den Weißen Nil, der im Viktoriasee entsteht, und den Blauen Nil, der aus Äthiopien kommt und dem Strom 86 Prozent seines Wassers zuführt. Davon sind Äthiopiens nördliche Nachbarn, also der Sudan und Ägypten, mehr oder weniger alternativlos abhängig. Ägypten mit seinen mehr als 100 Millionen Menschen bezieht 97 Prozent des Wassers von außerhalb seiner Grenzen – im Übrigen gefolgt von den Niederlanden mit 89 Prozent. Im Falle des Sudan sind es 77 Prozent.

Deshalb beschlossen Kairo und Karthum schon 1929, also vor beinahe 100 Jahren, die Abflussmenge des Nils unter sich aufzuteilen. 87 Prozent des Nilwassers sollte ihnen zustehen, davon wiederum das mit Abstand meiste Ägypten. Äthiopien, einer der Wasserspeicher Afrikas für den Sudan und Ägypten der Hauptlieferant des Nil-Wassers, hatte das Nachsehen. Eine Dürre und eine Heuschreckenplage, die in dieser Zeit den Norden des Landes heimsuchten, zogen innere Unruhen nach sich und ließen keinen Raum für eine entschiedene politische Intervention. Außerdem stand Äthiopien allein, der Sudan und Ägypten hatten Rückendeckung durch die Kolonialherren. Zwar war Ägypten de jure unabhängig, tatsächlich aber führten die Briten immer noch die Regie.

Dass Kairo seine Ansprüche auf das Nilwasser bis heute aus einem 1929 geschlossenen, 1959 ergänzten Vertrag ableitet, ist bemerkenswert. Wie es andererseits nicht überrascht, dass Äthiopien eigene Wege geht und Anfang April 2011 mit dem Bau des gewaltigen Renaissance-Staudamms begonnen hat. Womöglich war es ein Zufall, aber wenige Wochen später betrat mit dem unabhängigen Südsudan ein weiterer Hauptakteur im Nil-Konflikt die Bühne. Das im riesigen Quellgebiet des Weißen Nils mit der Demokratischen Republik Kongo, Ruanda, Burundi und Uganda die Kombattanten der drei Kongokriege auch in der Wasserfrage mitmischen, macht die Lage noch komplizierter, als sie ohnehin schon ist.

Nil

Bis in die jüngste Vergangenheit hinein hatte Ägypten Äthiopien immer wieder einmal mit Krieg gedroht, sollte es den Blauen Nil aufstauen. Weil das aus geostrategischen Gründen im Wesentlichen eine leere Drohung bleiben musste und weil sich Äthiopien auch deshalb nicht vom Bau des Renaissance-Staudamms, des größten seiner Art in Afrika, abhalten ließ, kamen die beiden, vermittelt durch den Sudan, zur Raison. Im März 2015 unterzeichneten Ägypten, der Sudan und Äthiopien eine Grundsatzvereinbarung über das Nilwasser.

Es sorgte für eine kurze, offenbar trügerische Entspannung. Im April 2021 endeten die vereinbarten Gespräche, im Februar 2022 wurde an dem weitgehend fertig gestellten Stauwerk die Stromproduktion aufgenommen, jetzt ist mit der dritten Befüllungsstufe begonnen worden. Entsprechend steigen die Spannungen. Sollten sie eskalieren, werden auch wir Europäer die vielfältigen Folgen zu spüren bekommen. Was auf dem Spiel steht, lässt sich in meinem Buch Krieg. Hundert Jahre Weltgeschichte nachlesen.



Bildquelle: Wikimedia Commons, River Nile map.svg: Hel-hama this file: Furfur, River Nile map de, CC BY-SA 4.0