Gregor Schöllgen – Historiker

Der vierte Krieg

25.05.2021 
In der Nacht zum 21. Mai ist der Waffenstillstand zwischen der Hamas und Israel in Kraft getreten. Wie lange er halten wird, weiß man nicht. Denn dieser vierte Krieg innerhalb von gerade einmal 13 Jahren hat die Konfliktursachen nicht nur nicht beseitigt, sondern alte vertieft und neue aufgeworfen.

Die Operationszentrale der Hamas liegt im sogenannten Gazastreifen. Der hatte ursprünglich zu Ägypten gehört und war im Sechstagekrieg, der am 5. Juni 1967 von Tel Aviv eröffnet wurde, durch Israel besetzt worden. Damit kamen auch seine Bewohner, zumeist Palästinenser, unter israelische Verwaltung. Nachdem sich die israelische Armee 2005 aus dem Gazastreifen zurückgezogen hatte, nutzte die von Teheran aus gesteuerte Hamas faktisch die Kontrolle und nahm Israel mit Raketen unter Dauerbeschuss.

Anders als um die Jahreswende 2008/09, im November 2012 und im Sommer 2014 hat Israel dieses Mal nicht mit einer Bodenoffensive in Gaza reagiert, sondern sich auf schwere Artillerie- und Luftschläge konzentriert. Dafür gibt es eine Reihe von Gründen, darunter nicht zuletzt die Erfahrungen der drei vorausgegangenen Kriege: Im Sommer 2014 konnten selbst 80.000 israelische Soldaten nicht verhindern, dass die Hamas auch in dieser Zeit 5.000 Raketen auf Israel abschoss.

Und dann beginnt sich die Haltung gegenüber Israel auch bei denen zu ändern, die wie wir Deutsche jahrzehntelang ohne Wenn und Aber zu diesem Staat und seinen Menschen gestanden haben. Immerhin war die Staatsgründung eine unmittelbare Folge des deutschen Vernichtungsfeldzuges gegen das europäische Judentum. Wenn sich Staaten, Regime oder Terrororganisationen wie die Hamas die Vernichtung Israels auf die Fahnen schreiben, ist das nicht hinnehmbar.

Andererseits trifft Israel mit seiner kompromisslosen Siedlungspolitik, die in der Regel mit der widerrechtliche Aneignung von palästinensischen Grund und Boden einhergeht, zunehmend auf Widerstand: Die bislang nicht gekannte Solidarisierungswelle der arabischen Bevölkerung Israels mit den Palästinensern zeigt, dass hier mehrere Zeitbomben ticken.

Vor allem aber verliert Israel jetzt erkennbar Rückhalt in den USA. Nicht nur linke Demokraten haben in den letzten Tagen öffentlich gefragt, ob sich Israel gegenüber Palästinensern und Arabern nicht wie eine Kolonialmacht verhalte.

Neu ist diese Kritik nicht. Schon Ende November 1967, also nach dem Sechstagekrieg, hatte der damalige französische Staatspräsident Charles de Gaulle - gleichfalls öffentlich - von den Israelis als einem „selbstgewissen und herrischen“ Elitevolk gesprochen, dessen Ehrgeiz „kriegerisch“ sei und darauf ziele „sich zu vergrößern“.

Und de Gaulle war wahrlich kein Antisemit, ganz im Gegenteil. Während des Zweiten Weltkrieges gehörte er zu den Franzosen, die sich entschlossen gegen Hitlers rassenideolgischen Vernichtungsfeldzug stellten. Und nach diesem Krieg war Frankreich die wichtigste Schutzmacht Israels, half ihm auch eine Atommacht zu werden.

Heute ist die Lage vor Ort ungleich komplizierter, als sie 1967 ohnehin schon war. Mit Waffenstillständen ist es nicht mehr getan. Dafür sind zu viele Akteure involviert, von denen wiederum die meisten verdeckt operieren. Wenn nicht alle mittelbar Involvierten – Ägypten und der Iran, die USA und Russland und andere mehr – mitziehen, wird der vierte Gaza-Krieg nicht der letzte gewesen sein.

Die Chancen, dass sich die Lage dauerhaft stabilisiert, stehen nicht gut. Aber resignieren sollte man deshalb nicht. Nach vier Kriegen, die Israel und Ägypten zwischen 1948 und 1973 gegeneinander geführt haben, glaubten auch nicht viele an einen Frieden. Im März 1979 kam er zustande.

Wie und warum es zur heutigen Lage im Nahen Osten gekommen ist, habe ich in meinem Buch Krieg dargestellt und analysiert.