Wenn man dem Mann gegenübersaß, „war das ein unglaublich unbedeutender Mensch … eine Null, ein Nichts“. Wüsste man nicht, dass diese Charakterisierung von einem Augenzeugen stammt, käme einem nie und nimmer in den Sinn, dass hier von einem Mann die Rede ist, der für die Deportation von mehr als zwei Millionen Juden nach Auschwitz und in andere Vernichtungslager verantwortlich war.
Der Augenzeuge war der 1923 in Deutschland geborene Journalist und Autor Uri Avnery, der 1933 mit seiner Familie nach Palästina floh und so wohl der Vernichtung entging. Die „Null“, das „Nichts“ war Adolf Eichmann, der während des Zweiten Wettkriegs die Dienstelle IV D 4 im Reichssicherheitshaupt leitete, sich nach dem Krieg nach Argentinien absetzte und am 22. Mai 1960 durch Agenten des israelischen Auslandsgeheimdienstes in einer spektakulären Aktion nach Israel entführt wurde.
Vor 60 Jahren, am 11. April 1961, begann in Tel Aviv der Prozess, der mit dem Todesurteil endete – das einzige, das in Israel jemals vollstreckt wurde. In der Nacht zum 1. Juni 1962 wurde Adolf Eichmann durch den Strang hingerichtet. Die Asche wurde im Meer verstreut. Seit 2002 und auf Deutsch seit 2004 gibt es eine
zuverlässige Biographie aus der Feder von David Cesarani.
Uri Averny war nicht der einzige Zeitzeuge, der zu dem zitierten Urteil kam. Zu den eindringlichsten Dokumentationen des Prozesses und den markantesten Porträts Adolf Eichmanns gehören die aus der Feder der gebürtigen deutschen Philosophin und Publizistin Hannah Arendt, der es im Mai 1941 buchstäblich in allerletzter Minute gelang, Europa zu verlassen und nach Amerika zu emigrieren.
Ihr Bericht über den Prozess erschien zunächst als Fortsetzung in The New Yorker, wenig später in einer amerikanischen Buchausgabe und 1964 unter dem Titel
„Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen“ auch auf Deutsch. Ich weiß nicht mehr genau, wann ich dieses Buch zum ersten Mal gelesen habe. Aber ich weiß, dass mich wenige Bücher so fasziniert haben wie dieses.
Das lag und liegt an der präzisen Beobachtung, und der schonungslosen Analyse: „Das beunruhigende an der Person Eichmanns war doch gerade, dass er war wie viele und dass diese vielen weder pervers noch sadistisch, sondern schrecklich und erschreckend normal waren und sind.“ Der Massenmörder hielt sich jedenfalls „im Sinne der Anklage für nicht schuldig“ und gab zu Protokoll: „Ich habe nur Befehle ausgeführt.“