Die Erleichterung ist groß. Nach Donald Trump kann es nur besser werden. Davon sind die meisten Europäer überzeugt. Auch wir Deutsche. Grundsätzlich stimmt das auch. Allerdings sollten wir uns vor zu großen Erwartungen hüten.
Denn Joe Biden tritt das Amt des 46. Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika mit enormen Bürden an. Zum einen geht er auf die Achtzig zu. Das ist für dieses Amt auch dann eine immense Herausforderung, wenn man es in einer guten körperlichen, geistigen und seelischen Verfassung übernimmt und wenn man - wie dieser Mann und anders als sein Vorgänger - eine jahrzehntelange politische Erfahrung mitbringt.
Zum anderen ist es ja nicht so, dass Biden durch eine Welle der Zustimmung ins Weiße Haus getragen wird. Nicht wenige Wähler haben ihm nur deshalb ihre Stimme gegeben, weil sie eine zweite Amtszeit Trumps verhindern wollten. Dass der gleichwohl noch knapp 74 Millionen Stimmen auf sich vereinigen konnte, lässt ahnen, was innenpolitisch auf einen Präsidenten Biden zukommen wird. Denn seine Wähler werden Trump mehrheitlich die Treue halten und seine Eskapaden multiplizieren. Damit nicht genug, werden die Linken in Bidens eigener Partei jetzt den Preis dafür einfordern, dass sie ihn im Wahlkampf unterstützt oder zumindest stillgehalten haben.
Eine weitere, vielleicht sogar die größere Hypothek für diesen Präsidenten ist seine eigene politische Biographie. Biden war jahrzehntelang Mitglied des Senats und hat dort insbesondere als Vorsitzender des Rechtsausschusses Spuren hinterlassen, die mitunter erst auf den zweiten Blick erkennbar werden.
Mir ist er vor allem wegen der Anhörungen zweier Kandidaten für den Supreme Court in Erinnerung. Der eine, Robert Bork, war 1987 von Präsident Ronald Reagan, der andere, Clarence Thomas, 1991 von George W.H. Bush nominiert worden. Der erste scheiterte, der zweite ist noch heute einer der Obersten Richter der Vereinigten Staaten. Er war der erste und ist bis heute der einzige Schwarze am Obersten Gericht.
Ich habe die beiden Anhörungen damals in New York am Fernseher verfolgt. Seither ist mir Joe Biden ein Begriff. Während der Anhörung von Clarence Thomas unternahm er nichts, um die Angriffe einiger Senatoren auf Antia Hill – auch sie eine Schwarze - zu unterbinden. Hill hatte Thomas sexuelle Belästigungen vorgeworfen und wurde von Mitgliedern des Rechtsausschusses vor laufenden Kameras demontiert. Biden hat sich später dafür entschuldigt, nicht interveniert zu haben. Aber diese Geschichte hat Spuren hinterlassen.
Das gilt erst recht für den Fall Robert Bork. Zwar bezog Bork zu einer Reihe von Themen Positionen, die viele – auch ich – für nicht akzeptabel oder doch jedenfalls für nicht mehr zeitgemäß hielten. Aber das war nicht entscheidend. Entscheidend war, wie Joe Biden und andere Demokraten, unter ihnen Edward Kennedy, den Mann vorführten.
Wenn ich recht sehe, hat diese Anhörung vom Spätsommer 1987 einen entscheidenden Anteil daran, dass heute jeder Anwärter auf ein öffentliches Amt in Amerika einer totalen Durchleuchtung unterzogen wird. Das gilt, mit der Kindheit beginnend, auch für solche Facetten einer Biographie, die mit dem angestrebten Amt nicht das mindeste zu tun haben, und das heißt auch: Je älter der Kandidat beziehungsweise die Kandidatin umso totaler die Durchleuchtung.
Biden selbst hat das, nicht zum ersten Mal, während des Wahlkampfes erlebt. Und die Anmaßung der Öffentlichkeit, die hinter dieser Attitüde steckt, wird ihm auch in den kommenden Jahren schwer zu schaffen machen. Mir haben die beiden Anhörungen damals die Augen geöffnet. Die Polarisierung der amerikanischen Gesellschaft hat lange vor Trump begonnen, und der wiederum hat seine verheerende Rolle lange eingeübt.
Diese extrem aufgeladene Lage im Innern der Vereinigten Staaten ist auch für uns Europäer von einiger Bedeutung, weil sie den Handlungsspielraum des Präsidenten erheblich einengt. Hinzu kommt die außenpolitische Hypothek des Joe Biden.
Robert Gates, der von 2006 bis 2011, also unter George W. Bush und Barack Obama, Verteidigungsminister war, hat 2014 gesagt, dass Joe Biden, unbeschadet seiner politischen und persönlichen Integrität, bei außen- und sicherheitspolitischen Fragen jahrzehntelang fast immer auf der falschen Seite gestanden habe. Damals waren Gates und Biden Kabinettskollegen.
Natürlich ist das eine Frage der Perspektive, aber wenn man sich Bidens außenpolitische Entscheidungen in der Vergangenheit ansieht, kann man Gates’ Beobachtung durchaus bestätigen. Für uns Europäer bedeutet das eine Herausforderung, zumal man davon ausgehen muss, dass Biden im Ton zwar deutlich verbindlicher, in der Sache aber kaum anders als sein Vorgänger agieren wird.
Und Trump brach seinerseits ja nicht mit der Europapolitik Obamas – um nur von dieser zu sprechen -, sondern setzte sie in allen relevanten Bereichen fort. Wegen Trumps rüpelhaftem Umgang ist das vielen nicht aufgefallen. Tatsächlich zeigt der Rückblick in die Amtszeit Obamas, die ja auch die Amtszeit des Vizepräsidenten Joe Biden gewesen ist, dass Trump sowenig mit der Europapolitik Obamas gebrochen hat wie dieser mit der Europapolitik seiner Vorgänger.
Ich habe das während Obamas zweiter Amtszeit einmal analysiert.
Allerdings gibt es zwischen Donald Trump auf der einen sowie Barack Obama und Joe Biden auf der anderen Seite neben weiteren Unterschieden auch diesen gravierenden: Trump war und ist nicht willens und in der Lage, aus Fehlern zu lernen und sich zu korrigieren. Obama und Biden waren und sind es. So gesehen besteht Hoffnung.